Wie die Igel Stacheln kriegten

In alten Zeiten trugen die Igel keine Stacheln, sondern seidenweiches Haar, so mollig und lang wie die Angorakarnickel heutzutage. Wenn du artig bist und fein zuhören kannst, will ich dir erzählen, wie sie zu den steifen Pieksborsten kamen. Soll ich?

Da war ein Swinegel, hieß Schnauf, der wollte gern heiraten. Wusste auch wohl wen. Da war nämlich ein Igelfräulein, hieß Schnief und sie passten gut zusammen, denn vom spitzen Schnäuzlein bis zum Stummelschwänzchen glichen sich beide aufs Haar:

Augen gleich klein,
Nasen gleich fein,
Zähnchen gleich spitz,
Köpfchen voll Witz,
Beinchen gleich schief
bei Schnauf und bei Schnief.

Na, das war gut soweit. Weil aber der Schnauf so gerne Mäuse fraß, so konnte er sich wohl denken, dass auch Schnief nichts gegen Mäusebraten haben würde. Deshalb ging er hin und lauerte vor einem Loche, bis er ein fettes Mäuslein erwischt hatte. Das gedachte er seiner Schnief mitzubringen als Brautgeschenk. Gerade wollte er mit seiner Beute abziehen, da hörte er ein Zischen. Und sieh, da lag die Kreuzotter um einen Stein gerollt in der blanken Sonne, die böse Kreuzotter, der kein Tier über den Weg traut, einmal ihrer giftigen Zähne wegen, und zweitens, weil alle sagen, dass sie hexen  könne, wenn sie ihren richtigen Tag hat. "Du, das war meine Maus!" wispelte die Otter. "Gib sie her, die wollte ich fangen."  "Hier gilt kein Wollen, hier gilt bloß Haben!" erwiderte Schnauf und setzte sich auf seine Maus. "Sei nicht so dreist. Igel Langhaar, sonst beiß ich dich und mach dich stumm und steif!" sagte das böse Geschöpf und schaute meinen lieben Igel mit eiskalten Augen an, dass ihn fast schauderte. Aber bange war er nicht. "Komm nur heran du fußloser Schuppenwurm!" rief Schnauf, "so wirst du fühlen, wie meine spitzen Zähne deine Knochen besuchen."

Nun kann eine Schlange dreierlei nicht vertragen: Erstens mag sie nicht daran erinnert werden, dass sie keine Füße hat, zweitens ärgert sie sich sehr, wenn man sie den Würmern gleichstellt, drittens aber ist sie schrecklich neidisch auf alle, die weiches Haar oder Federn tragen. Denn all ihre Hexenkunst kann ihr selber nicht dazu verhelfen. Darum zischte sie voll Wut und Bosheit:

"Steifes, hartes Stachelkleid
wünsch ich dir für alle Zeit.
Dir und allen deinesgleichen
soll nie mehr das Fell erweichen!"
 

Oh weh! Kaum hatte die Schlange diesen Zauber gezischelt, da knackte und zog es dem Igel durch Haut und Haar. Und die weichen Locken streckten sich, standen steif hin und wandelten ihre Farben in ein hässliches Braun. Da weinte mein armes Igelchen bitterlich und lief hin zu seiner Braut, um bei ihr Trost zu suchen. Aber ach! Die war just so jämmerlich verwandelt, und sie sahen einander traurig an und schnauften und schnieften, dass es einen Stein hätte erbarmen können. "Ach liebe Schnief!" klagte Schnauf, "ich bin schuld an deinem und meinem Unglück. Was musste ich auch die giftige Hexe reizen!" "Mein lieber Schnauf!" sagte Schnief, "die meiste Schuld habe ich! Hättest du mir die Maus nicht schenken wollen, so wäre nichts geschehen!" Da rieben die beiden ihre Näschen aneinander und versprachen, treu zusammenzuhalten in ihrem Elend.

Weil sie aber so tief in Kummer versunken waren, so merkten sie nicht, wie einer durch die Büsche geschlichen kam, der trug einen roten Pelz und hatte die Nase am Boden und den buschigen Schwanz wie eine Fahne in der Luft. Soll ich verraten, wer das war, oder weißt du's schon?

"Hier riecht's nach Igel!" brummelte der Fuchs; "doppelt sogar! Wart, ich werde die langhaarigen Tapse gleich haben!" Und ohne recht hinzuschauen, patschte er mit der Pfote hin, wo sich das Gras bewegte. Dem Schnauf und der Schnief fuhr ein gewaltiger Schreck durch die Glieder, und es sträubten sich ihnen die Haare. Die Haare? Ich meine die Borsten, die stachligen, die starrten steif nach allen Seiten. Reineke Fuchs aber erschrak noch mehr: denn ihm war, als hätte er in ein Nadelkissen gelangt, in dem die Stecknadeln ungekehrt drin stecken. "Nanu?" dachte er, schnüffelte noch mal zu und stieß mit der Nase gegen eine zweite Piekskugel, dass ihm das Blut ins Maul leckte. "Pfui Teufel!" fauchte er. "Wie Igel riecht's, wie Nadeln sticht's! - Was ist das bloß?" Damit ging er rückwärts auf drei Beinen und schlenkerte sich rote Tropfen von der Nase.

Igel und Igelin guckten sich an, als der Rotrock so schnell verschwunden war. "Warum ist der Fuchs fortgelaufen?" fragte Schnief. Schnauf zuckte die Achseln, dass die Stacheln klapperten. Dann aber fand er die Blutstropfen im Grase und merkte, warum der Fuchs den Appetit verloren hatte. Da sagte er: "Die falsche Schlange hat uns eine gute Waffe angezaubert; nicht um die Welt gäbe ich das Stachelkleid wieder her! Jetzt brauchen wir weder Zunge noch Zahn zu fürchten; komm, wir wollen das tückische Wesen umbringen!" Das taten sie unverzüglich. Und als sie tot lag und nicht mehr zuckte, die böse Kreuzotter, da verspeisten die Igel ihren schuppigen Leib; Schnauf fing beim Kopf an und Schnief beim Schwanz, und in der Mitte hörten sie auf und leckten sich die Lippen: "Hat gut geschmeckt!"

Siehst du, so kommt es, dass der Igel den Stachelpanzer noch heute trägt und dass er keine Kreuzotter leiden kann.

                                                     (von Hagdis Hollriede)